Yoga Mythos
In dieser Reihe räumen wir mit den klassischen Yoga Phrasen auf. Wir schauen was dran ist an den Mythen und versuchen dem wahren Kern auf den Grund zu gehen.
Hast du auch so einen Satz, den du immer wieder im Yoga Kurs hörst, und zu dem du gern die ganze Geschichte kennen würdest? Erzähl mir davon in den Kommentaren.
Aber nun zu unserem Mythos:
Wir üben Yoga nach einer jahrtausend Jahre alten Tradition.
Wir lieben unser Yoga, und wie gerne weisen wir darauf hin, dass wir nach einer uralten Tradition praktizieren. Das hört sich einfach gut an.
Aber Achtung, es gibt da ein kleines Problem:
Yoga, wie wir es heute kennen ist keine Jahrtausend Jahre alte Tradition!
Unser heutiges Yoga, mit Fokus auf körperliche Positionen (auch āsanas genannt) und Gruppenstunden, ist maximal 100 Jahre alt und da lehne ich mich schon weit aus dem Fenster.
Entgegen der herkömmlichen Meinung gibt es keinerlei historische Belege, dass in Indien, wo Yoga entstanden ist, vor der Neuzeit Asanas wie wir sie heute kennen, geübt wurden.
Ashtanga-Yoga, Bikram-Yoga, Kundalini-Yoga, Hatha-Yoga (in seiner heute ausgeübten Form), Power-Yoga und die vielen anderen Yogas, die die Stundenpläne der Yoga Studios füllen, sind Erfindungen der Moderne.
In diesem Artikel will ich Klarheit schaffen, wie und wann Yoga entstanden ist, damit wir als Yogis authentisches Wissen vermitteln können und nicht nur Phrasen wiederholen.
Kurz zu den Begrifflichkeit: Wenn ich von “modernem Yoga” spreche, dann meine ich das heutzutage in den meisten Yoga Studios vermittelte Yoga mit deutlichen Schwerpunkt auf körperlichen Positionen.
Mit “klassischem Yoga” meine ich alles davor liegende. Das ist zwar absolut generalisierend, dient aber in diesem Fall der Verdeutlichung.
Die extremste Theorie sieht den ersten Beleg für Yoga auf einem archäologischem Fundstück aus der Indus-Zivilisation, die auf ca. 2500 vor Christus datiert wird, und schließt daraus, dass Yoga ca. 4500 Jahre alt ist.
Was ist die Indus Zivilisation?
Die Indus-Zivilisation war eine hochentwickelte Frühkultur mit Städten und Siedlungen. Bei den Ausgrabungen fand man diverse “Siegel”, kleine viereckige Stempel. Wofür diese verwendet wurden ist nicht klar.
Eines dieser Siegel zeigt eine menschliche Gestalt, die möglicherweise(!) einen Yogasitz eingenommen hat. Obwohl wir gar nichts über die Religion und Kultur dieser Zivilisation wissen und es außer dieser einen Darstellung keinerlei Hinweise auf Yoga gibt, wird immer wieder behauptet, dass hier eine Hatha-Yoga Position zu sehen ist. Es wird daraus geschlussfolgert, dass Yoga hier entstanden ist und dass Yoga deshalb so alt ist wie die Indus-Kultur.
Dies ist historisches Wunschdenken, denn es gibt wie gezeigt keine Belege dafür.
Viele Yogis behaupten und es wird auch so in vielen Yoga-Lehrer Ausbildungen vermittelt, dass Yoga seinen Ursprung in den Veden hat.
Was sind nochmal die Veden?
Die Veden sind eine zuerst rein mündlich, erst später schriftlich überlieferte Sammlung von ganz verschiedenen Texten. Eigentlich handelt es sich um Gesänge, daher wurden sie auch zuerst nur mündlich weitergegeben. Auch heute gibt es noch Brahmanen, die große Teile der Veden frei rezitieren können.
Die Veden sind die Grundpfeiler des Hinduismus. Aber es ist leider ein viel verbreitetes Missverständnis, dass Yoga aus den Veden entstanden ist. Hindu Nationalisten hätten das zwar gerne so, aber so wenig wie Yoga das gleiche wie Hinduismus ist, so wenig entspring Yoga den Veden.
Der älteste Teil der Veden besteht aus 4 Büchern, die aus der Zeit von 1500-1000 vor Christus stammen.
Die erste Erwähnung kann man eventuell im Rig Veda finden, dem ältesten der 4 Bücher. Hier gibt es eine "Hymne an die Langhaarigen". Sind damit die ersten Yogis gemeint? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall ist es kein eigentlicher Beleg für den Ursprung von Yoga. Wird aber unerklärlicherweise oft so verstanden.
In einem etwas späteren Text (ca. 1000 v. Chr.), dem Atharva Veda (das 4. Buch), finden sich Beschreibungen, die als Vorläufer von späteren Atemtechniken beschrieben werden können.
Auch wenn sich also in den Veden einzelne Aspekte von Asketentum oder Ansätzen der Atemtechnik finden, kann von einem richtigen Yoga System noch keine Rede sein.
Die Upanishaden kommen nach den Veden und sind die ersten brahmanischen Texte, die sich mit Askese befassen.
Die ersten wirklichen Belege und eine Definition für das eigentliche Wort “Yoga” findet sich in der Katha Upanishad (ca. 300 v. Chr.), in einem Dialog zwischen einem Jungen und Yama, dem Gott des Todes. Ein aus den Veden bekanntes Sinnbild wird herangezogen: das Leben als Mensch ist wie das Lenken eines Streitwagens.
Wer seine Pferde, also seine Sinne, nicht unter Kontrolle bringt, kann nicht dem Ziel entgegenfahren, sondern fährt mal da, mal dorthin. Wo die Pferde eben gerade hinreiten. Dieses ziellose Wandern durch das menschliche Dasein wird in der indischen Philosophie der Wiedergeburt gleichgesetzt. Und daraus kann geschlussfolgert werden:
Nur wer seine Sinne unter Kontrolle bringt, also Kontrolle über seinen Geist erlangt, kann Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten finden.
Dieser philosophische Ansatz zieht sich durch die Geschichte des Yoga und wird auch heute noch gelehrt.
Wir finden das Wort "yoga" in den klassischen Texten auch an anderen Stellen, aber in seiner ganz ursprünglichen Bedeutung. Das deutsche Wort "Joch" zeugt von den sprachlichen Verbindungen. Yoga kommt von *yuj und bedeutet, anjochen, anspannen, zusammenbinden, also im Sinne von Pferde vor den Wagen spannen. Und so war es auch wörtlich gemeint: die für den Kampf bereiten Krieger riefen danach, dass man ihre Pferde jetzt anjochen könne.
Dann wäre Yoga also ungefähr 2300 Jahre alt.
Aber es gibt neben den Veden noch andere überlieferte Textdokumente.
Ab ca. 800 v. Chr. ermöglichten günstige klimatische Bedingungen, dass in diversen indischen Regionen ein landwirtschaftlicher Überfluss erwirtschaftet wurde. Daraus entwickelte sich vereinfacht gesagt eine Geldwirtschaft, die Menschen spezialisierten sich, eine Hierarchie entstand. Reiche und Arme, kurz die Gesellschaftsstrukturen, wie wir sie heute kennen entwickelte sich. Das Klassensystem wurde strikter.
Neben sozialen entwickelten sich aber auch gesundheitliche Probleme, wie immer wenn viele Menschen auf engem Raum leben. Die Menschen wurden auf Grund der sanitären Missstände krank und die Lebenserwartung sank.
In diesem Umfeld entstanden um 600 v. Chr. mehrere Bewegungen, die sich wieder mehr an der Natur orientieren wollten. Gleich einer ideologischen Rebellion wollten diese Gruppe sich der menschlichen Natur widmen, die wahre Natur des Menschen ergründen.
In der Literatur werden diese Bewegungen als Shramanas bezeichnet, was soviel wie "Strebende" bedeutet. Das Wort findet sich auch in unserem Wortschatz in dem Wort Ashram (A-Shram, A ist hier Verstärker).
Ihr Streben galt dem Ausstieg aus dem Kreis der Wiedergeburten und sie entwickelten Meditationstechniken, um das Karma, der Grund allen menschlichen Leidens, auszulöschen.
Während die Anhänger der Shramana Bewegung zwar noch keine Asanas übten, so vertieften sie sich sehr wohl in psychisch-physischen Übungen. Sie saßen in diversen Variationen auf dem Boden, standen auf einem Bein, oder hingen auch mal von einem Baum.
Die Bewegung ließ enorme Spannungen in der Gesellschaft entstehen, da sie vor allem junge Leute anzog. Die Anhänger zeigten auch äußerlich, dass sie das klassische Gesellschaftsmodell ablehnten: sie rasierten ihren Kopf und kleideten sich entweder kaum oder in orangene Roben. Noch heute tragen indische Swamis bevorzugt orangene Kleider.
Woher wissen wir soviel über diese Bewegung?
Ihr wohl bekanntestes Mitglied war kein geringerer als ein gewisser Siddhārtha Gautama, der später den Titel Buddha verliehen bekam. Er hatte ganz konkrete Meinungen über die diversen Ausprägungen der Shramana Bewegung. Buddhas Worte wurden glücklicherweise aufgeschrieben und so wissen wir heute ziemlich genau Bescheid über die verschiedenen Strömungen innerhalb der Shramana Bewegung und welche Lehren sie praktizierten.
Es gibt Belege für Retreats, Meditation, Ernährungslehre, Atemübungen und bewusstseinsverändernde Praktiken. Noch nicht alle philosophischen Konzepte des Yoga waren ausformuliert, aber die grundlegenden Elemente waren vorhanden.
Die Texte der Shramanas wurden ca. 600 vor Christus verfasst und bilden durch ihre Systematik zu den verschiedenen Bereichen den ersten umfassenden Yoga Kanon.
Daraus lässt sich schließen, dass Yoga ungefähr 2600 Jahre alt ist.
Die Shramana Bewegung wuchs weiter und brachte letztendlich den Buddhismus, Jainismus und in letzter Konsequenz auch Yoga wie wir es heute kennen auf den Weg.
Der Vollständigkeit halber möchte noch kurz auf andere, spätere Texte eingehen, die oft als Ursprung des Yoga dargestellt werden.
Der wohl bekannteste klassische Text zum Thema Yoga sind die Yoga Sutras von Patañjali. Die Yoga Sutren (ca. 250 n. Chr. ) bestehen aus 195 kurzen Aussagen (sūtras) und befassen sich damit, wie man Yoga im Sinne von Einheit erreichen kann. Schon kurz nach ihrer Entstehung kam eine Vielzahl von Kommentaren und der gesamte Textkorpus wird daher als Pātañjalayogaśastra bezeichnet.
Der gesamte Textkanon kann als Versuch der Brahmanen gedeutet werden, Yoga aus der Shramana Tradition zu übernehmen und sich zu eigen zu machen.
Der Text hat enormes Interesse bei modernen Yogis und wird sogar manchmal als Ursprung des Yogas gesehen. Aber er ist nur einer von vielen Texten aus Indien über Yoga und nicht die ultimative Autorität für indische Yoga Tradition. Obwohl er der primäre Text für westliche Yogis ist, befasst man sich meist nur mit den Sutren zum 8-teiligen Yoga Pfad (astangayoga).
Obwohl im Text und den klassischen Kommentaren nur seltenst auf Asanas eingegangen wird, wird der Text oft als Quelle der modernen Yoga Asanas genannt. Ziel soll wohl sein, der Praxis Prestige und Tradition zu geben.
Im 12. Jahrhundert wird Yoga Teil einer Liste von philosophischen Systemen (darśanas) und weckt das Interesse früher europäischer Forscher. Die Tatsache, dass das Pātañjalayogaśastra die philosophische Grundlage des zu dieser Zeit vorherrschenden Yogas ist, machte den Text so bedeutend für Forscher und Yoga Praktizierende.
Aber ich hoffe, ich konnte zeigen, dass es bei Weitem nicht der einzige klassische Text zu Yoga ist und dass er nur einen Teil des Yoga aus der präkolonialen Zeit darstellt.
Allen hier genannten Werken ist jedoch gemein, dass sie sich kaum mit Asanas befassen. Und wenn sich doch mal eine körperlich Übung beschrieben wird, dann handelt es sich um verschiedene Arten zu sitzen - sehr lang zu sitzen.
Wie es zur Entwicklung des Asana-betonten Yogas, wie wir es heute kennen, kam, erkläre ich in meinem nächsten Artikel.
Quellen:
Christopher Wallis. (16.2.2019). The True Origins of Yoga. (Video). YouTube. https://youtu.be/sF29cpEOoRE
James Mallinson and Mark Singleton, Roots of Yoga. 2017
Mark Singleton, Yoga Body: The Origins of Modern Posture Practice. 2010
Suza
Ruth Rettberg
Ich habe hauptsächlich folgende Literatur verwendet:
Christopher Wallis. (16.2.2019). The True Origins of Yoga. (Video). YouTube.
https://youtu.be/sF29cpEOoRE
James Mallinson and Mark Singleton, Roots of Yoga. 2017
Mark Singleton, Yoga Body: The Origins of Modern Posture Practice. 2010
Ich habe das jetzt auch dem Artikel hinzugefügt. Das sollte eigentlich dabei sein :-)
Suza
Burghard
Sehr schön zusammengefasst, um sich ein Bild der geschichtlichen Einflüsse zu machen. Und jede Epoche hat einen Beitrag zu den
"Weisheiten" des Yoga beigetragen. Weisheit, die heute mehr denn je Bedeutung hat...
Ruth Rettberg
Irena
Ruth Rettberg
Danke für deine Rückmeldung. Wo hast du deine Ausbildung gemacht? Ich versuche einen Überblick über Ausbildungsinhalte in Deutschland zu bekommen. Ich habe meine in Norwegen gemacht (lange Geschichte), deswegen kenn ich mich mit dem deutschen Angebot (noch) nicht so gut aus. Hattet ihr eine großen Philosophie-Anteil?
Was denkst du?